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Jan, dein Gedicht „ohio“ hast du ursprünglich auf Deutsch geschrieben und Iain Galbraith hat es anschließed auf Englisch übersetzt. Aber du bist auch selbst erfahrener Übersetzer: Findest du, du übersetzt deine eigenen Gedichte am besten weil du genau weißt, was du ausdrücken willst? Geht in der Übersetzung von ohio für dich etwas verloren? Und gibt es Teile, die dir in der Englischen Version sogar besser gefallen?
In jeder Übersetzung eines Gedichts geht etwas verloren, das ist unvermeidbar; wer darüber jedoch in lautes Wehklagen verfällt, übersieht, daß eine Übersetzung auch etwas zurückgewinnen kann, mit den jeweils ganz eigenen Mitteln, Besonderheiten, Schönheiten der Zielsprache, und daß sich im idealen Fall Verlust und Gewinn die Waage halten. Iain Galbraith beherrscht diese Kunst des Verlustausgleichs, weil er ein wunderbarer und erfahrener Übersetzer ist, in dessen Händen man ein Gedicht gut aufgehoben weiß. Ich selbst würde meine eigenen Gedichte unter keinen Umständen ins Englische übertragen wollen, weil zu befürchten ist, daß mir das Feingefühl des Muttersprachlers an entscheidender Stelle fehlt, vielleicht ohne es zu bemerken. Gut jedoch ist es, wenn Übersetzer und Autor keine Scheu haben, einander Fragen zu stellen, auch solche, deren Antwort sie schon gefunden zu haben glauben.
Du verwendest in deinem Gedicht ein einziges Englisches Wort: „blizzard“. Warum hast du dich hier für das englische Wort entschieden? Passiert es dir oft, dass sich beim Schreiben Wörter der einen Sprache in die andere einschleichen?
Es geschieht nicht allzu oft, aber es kommt vor, wenn es aus klanglichen oder semantischen Gründen überzeugend ist—so wie hier, wenigstens in meinen Augen, weil ein Blizzard eine Gewalt hat, die dem europäischen Schneesturm fehlen, und weil das Wort gleichzeitig die Landschaft definiert, lokale Färbung ins Gedicht trägt.
Zweifellos wäre es das soeben erwähnte Wort „blizzard“—und zwar wäre nicht nur der Anfangsbuchstabe groß zu schreiben, nicht nur das B, was das Ganze nur korrekt und damit nicht sonderlich interessant machen würde; nein, es müßten alle Buchstaben groß geschrieben werden, der „blizzard“ müßte zum „BLIZZARD“ werden und so, gerade im Kontrast zu den anderen, allesamt winzigen und geduckten Wörtern, Größe und Gewalt bekommen, eine kapitale Wucht sozusagen, kalt und ehrfurchtgebietend.
Wie und wo und wann schreibst du am Liebsten? Wie und wo und wann schreibst du am Besten? Wie und wo und wann kannst du gar nicht schreiben?
Am Liebsten: in einem Zustand gleichzeitiger An- und Abwesenheit, wenn die Dynamik der Arbeit an der Sprache und dem Gedicht, das vor mir liegt, so unwiderstehlich wird, daß ich die Zeit vergesse und nach Stunden plötzlich realisiere, wie spät es geworden ist, bei Stille im Zimmer und Dunkel vorm Fenster, in der Phase, die Frost als „tantalizing vagueness“ beschrieben hat und in der alles möglich erscheint aber noch nichts sicher ist. Am Besten: mit Kugelschreiber und Notizbuch, also handschriftlich, in meinem Sessel sitzend (der schwer wie ein Kleinwagen ist aber mich viel weiter trägt), abends und nachts. Gar nicht: leider in Cafés mit ihrem Trubel, den Gesprächen, den Düften, so gerne ich mich sonst in Cafés aufhalte.
Du beginnst dein Gedicht mit „ohio“ und endest es mit „chile“. Warum genau diese zwei Orte? Welche Bedeutung haben sie für dich und was verbindet sie?
Es geht eher um die unfaßbare Distanz zwischen diesen Orten, die durch die Nennung beider Orte am Anfang und am Ende, in einer Art Klammer, eröffnet wird und in ihrer Riesenhaftgkeit jäh auch an jenem Ort fühlbar wird, wo der Sprecher des Gedichts sich aufhält, der mit einem Mal weit und unsicher wird, sich verliert—in Ohio.